Ausstellungen

Deutsch-tschechische Beziehungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Vortrag am 18. März 2011 an der Hochschule Zittau/Görlitz
Dr. Wolfgang Wessig

Weil ich nun doch 35 Jahre geschafft habe, wollte ich eine Ausstellung in Görlitz machen. Sie ist entsprechend verlaufen, resümiert der Maler und Kupferstecher Johannes Wüsten am 18. Dezember 1931 in seinem Tagebuch: Am 8. November fing sie an. Am 9. waren bereits drei Blätter auf Einspruch religiös interessierter Kreise abgehängt. Die hießen: Andacht und Trauung und Heilsarmee – indem den Görlitzern etwas Religion erhalten bleiben muss, kommentierte Tucholsky ironisch. Man liest oft, dass der Künstler in der Provinz noch so etwas wie eine kulturelle Aufgabe habe, schreibt Wüsten. Wer die erfüllen will, muss jetzt Wartburglieder malen und die Königin Luise verehren, sonst lebt er hier, wo jeder jeden kennt, nicht gut. Die Jubiläumsausstellung wurde vorzeitig geschlossen, das Museum kaufte zwei Stiche für 27 Mark, das war alles. Das bin ich also für Görlitz im Herbst 1931: ein kleiner Stein des Anstoßes und sonst gar nichts.

Ein schmales Heft mit Reproduktionen seiner Kupferstiche erschien in diesen Tagen unter dem Titel Blutproben. Kurt Tucholsky, der das Bändchen in der Weltbühne rezensierte, verglich die Blätter mit Grosz und Kubin – aber doch durchaus eigenartig: Herrlich böse – böse aus enttäuschter Güte. Diese Besprechung hat Wüsten sehr getröstet. Der Kulturredakteur des liberalen Neuen Görlitzer Anzeiger, für den er regelmäßig heimatliche Miniaturen und historische Studien über die Lausitz und Schlesien veröffentlichte – mehr des Broterwerbs wegen – fand indessen, die Besprechung in der renommierten linken Zeitschrift könne ihm ebensoviel schaden wie nutzen. Für die Blutproben verdiente er keinen Pfennig. Ein historisches Heimatspiel, Trotzkayser, das er im Auftrag des Verkehrsvereins schrieb, wurde vom Magistrat abgelehnt, weil es angeblich politisch zu tendenziös ausgefallen sei.

Ich bin von Heimatliebe erfüllt, wie man es mehr nicht sein kann. Aber diese Liebe spricht man mir einfach ab. Spricht man jedem an, der nicht das Hakenkreuz anbetet. Der helle Wahnsinn steht unmittelbar vor dem Ausbruch, vertraut er seinem Tagebuch an. Ende März 1932 tritt Wüsten in die KPD ein. Nach wie vor will ich versuchen, den Schwerpunkt meiner eigenen Arbeit immer beim menschlichen Herzen zu suchen, aber warum soll ich dort beiseite stehen, wo es sich darum handelt auch äußerlich menschenwürdige Zustände zu schaffen.

Ein Bekenntnis, das zum Lebensinhalt, zum Schreibanlaß und auch zum Kriterium der Stoffwahl wurde. So ist es durchaus keine Zufall, dass sich die erste dramatische Talentprobe Wüstens, die einem größeren Publikum bekannt wurde, mit einem stadtgeschichtlichen Stoff aus dem Umfeld des deutschen Bauernkrieges beschäftigte. Für die Arbeiterspielgruppe Rote Bühne schrieb er, nach vorangegangenem gründlichen Quellenstudium, das Heimatspiel Die Verrätergasse. In einem Vorspiel lässt Wüsten einen Mitstreiter der verräterischen Rotte - wie die Sieger die aufständischen Zünfte zu nennen pflegten – auf zwei Arbeiter des Jahres 1932 treffen. Nichts haben wir gewollt, nichts verlangten wir als menschenwürdige Zustände, erklärt er und folgert: Er ist noch nicht beendet, der Kampf um das Recht, als Mensch zu leben.

Vom 22. November 1932, der Premiere im Görlitzer Konzerthaus, bis zum 30. Januar 1933, dem Tag von Hitlers Machtübernahme, erlebte Wüstens Stück in seiner Inszenierung insgesamt 11 Aufführungen in verschiedenen Orten der Oberlausitz und Schlesiens. Die letzte Aufführung fand in Seidenberg, dem heutigen Zawidów, in Anwesenheit tschechischer Arbeiterschauspieler statt.

Kaum brannte der Reichstag, erinnert Wüsten, und ich hatte die Polizei im Hause. Wegen eines Theaterstückes, es hieß „Die Verrätergasse“. Im April 1933 wurde er kurzzeitig inhaftiert und verschwand, auf Rat der Polizei, die sich damals noch ungern an honorigen Bürgern vergriff, für eine Weile im Reich des Berggeistes Rübezahl. In Wolfshau bei Krummhübel (Karpacz) im Hause des befreundeten Schriftstellers Gerhart Pohl schrieb Wüsten das letzte der Görlitzer Heimatspiele: Das heilige Grab, erneut für das Ensemble der Roten Bühne, freilich ohne noch mit einer Aufführung rechnen zu können.

Alle leitenden Görlitzer KP-Funktionäre waren zwischen März und April 1933 verhaftet worden. Nach Görlitz zurückgekehrt, organisierte Wüsten eine Widerstandsgruppe, deren Kern die Arbeiterschauspieler der Roten Bühne bildeten. Ein Jahr lang, bis zum Frühjahr 1934, stellte die Gruppe aufklärende Flugblätter her, organisierte die Unterstützung der Familien inhaftierter Genossen, versteckte Illegale und brachte sie über die Grenze in die benachbarte Tschechoslowakei. Wüsten war in diesen Monaten selbst mehrfach in Prag, schmuggelte Exil-Zeitungen und Flugschriften nach Deutschland und veröffentlichte unter dem Pseudonym Peter Nikl bereits Februar, März und April 1934 Pressezeichnungen in der satirischen Wochenzeitschrift Der Simplicus, die in Prag der Görlitzer Rechtsanwalt Dr. Hans Nathan gegründet hatte.

Als im Frühjahr 1934 die Gestapo Wüsten ins Visier genommen hatte und seine Verhaftung drohte, floh er nach Prag. Seine Frau, Dorothea Wüsten-Koeppen, 1893 in Ketzin/Havel geboren, Malerin, seit 1926 verheiratet, wurde Anfang November 1934 verhaftet, der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt, jedoch aus Mangel an Beweisen im April 1935 freigesprochen. Nur fünf Tage nach der Urteilsverkündung folgte sie ihrem Mann ins Prager Exil.

Seit der Errichtung des NS-Staates ergoss sich in die Tschechoslowakei ein Strom von Flüchtlingen – nach politischer Einstellung und sozialer Herkunft sehr verschieden. Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten, Christen, Pazifisten, Juden und Deutschnationale. Menschen aus wohlhabenden Kreisen und solche, die oft ohne Mantel über die Grenze kamen. Nach Schätzungen hat die Tschechoslowakei im ganzen etwa 8000 – 10000 Flüchtlinge aufgenommen. Mehr als sechs Jahre war sie als Asyl- oder auch als Durchgangsland überaus günstig. Zum einen aus geografischen Gründen: die lange gemeinsame Grenze ermöglichte es den Verfolgten in relativ kurzer Zeit und unter minimalen Kosten ins Ausland zu gelangen, und es bestand kein Visumzwang. Ein Grenzübergang ließ sich auch mittels eines Passierscheins im kleinen Grenzverkehr ermöglichen.

Zum anderen war die CSR das einzige Land Mitteleuropas mit einer funktionierenden bürgerlich-demokratischen Ordnung, mit Männern wie Tomas Masaryk, erster tschechoslowakischer Staatspräsident bis 1935 und sein Nachfolger Edvard Benes an der Spitze, die in der Tradition des bürgerlichen Liberalismus stehend, selbst die Emigration kennen gelernt hatten.

Wenn Wieland Herzfelde rückschauend feststellte, dass die Tschechoslowakei für viele deutsche Emigranten nicht so sehr ein Exilland, wie ein Ortswechsel war, ist damit natürlich auch auf die starke deutsche Minderheit von 3,2 Millionen (22% der Gesamtbevölkerung) verwiesen. Es erschienen deutschsprachige Zeitungen und Bücher, es gab deutsche Theater, Verlage, Kinos und andere kulturelle Einrichtungen. In allen Zeugnissen ehemaliger CSR-Emigranten wird auch berichtet, dass ihnen die fortschrittliche und demokratische Bevölkerung des Landes große Sympathie entgegen brachte, die sich in unzähligen Beweisen der Solidarität und Verbundenheit zeigte. Die jüdische Autorin Maria Jokl schrieb in ihren Erinnerungen ans Prager Exil: Wir liebten alle Prag vom ersten bis weit über den letzten Moment hinaus, wegen der geschichtsträchtigen Schönheit der Stadt, der Wärme der Tschechen, an denen, an jedem einzelnen, man noch den unbürgerlich-lebendigen Hauch ihrer erkämpften nationalen Selbständigkeit spürte; wegen der Großzügigkeit, mit der man Emigranten Asylrecht gab.

Zum Zentrum des antifaschistischen Kampfes in der Emigration wurde Prag. Hier erschienen bedeutende Exilzeitschriften. Bereits Ende März 1933 die Arbeiter Illustrierte Zeitung (ab 1936: Volks-Illustrierte), ihr Chefredakteur war der in Prag geborene Franz Carl Weiskopf. Im April folgte Die Neue Weltbühne. Ab Oktober 1933 kam wöchentlich Der Gegenangriff heraus, geleitet von Bruno Frei, unter Mitarbeit von Weiskopf und Wieland Herzfelde, dem Leiter des seit April 1933 in Prag ansässigen Malik-Verlages.

Ein bemerkenswertes Unternehmen war auch die schon erwähnte Satirezeitschrift Der Simplicus. Ihr Gründer, Hans Nathan, bei dem Johannes Wüsten bei seiner Ankunft in Prag zunächst Unterkunft fand, wurde am 2. Dezember 1900 in Görlitz geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums Augustum in seiner Heimatstadt studierte er Jura in Berlin, Marburg, München und Breslau und war von 1925 bis 1933 als kunstinteressierter Rechtsanwalt in Görlitz tätig. 1933 sah sich Nathan im Zuge der Judenverfolgung – wie auch seine Berufskollegen Paul Mühsam und André Meyer – zum Verlassen Deutschlands gezwungen.

Im Frühjahr 1933 fand ich mich in Prag auf der Suche nach einem neuen Beruf. Den bisherigen juristischen hatten mir die Nazis gestohlen, erinnert Nathan. Der Zufall brachte mich mit einer Gruppe emigrierter Berliner Journalisten und Künstler zusammen, zu denen Ullstein-Journalist Heinz Pol gehörte. Von ihm stammte die Idee, dem gleichgeschalteten legendären Münchner „Simplicissimus“ einen „Gegen- Simplicissimus“ entgegen zu stellen und in ihm das Dritte Reich mit Satire und Karikatur zu bekämpfen.

Der Plan faszinierte Nathan. Er steckte erhebliche, aus Deutschland mitgebrachte Gelder hinein und gründete einen eigenen Verlag, den er leitete. Heinz Pol übernahm die Chefredaktion. Als verantwortlicher tschechischer Redakteur der in zwei Varianten, einer deutschen und einer tschechischen herausgegebenen Wochenzeitschrift fungierte der Pressezeichner Frantisek Bidlo, da die tschechischen Gesetze einen Ausländer als Chefredakteur nicht anerkannten. Die erste Nummer erschien am 25. Januar 1934. Wöchentlicher Umfang 12 Seiten.

Die Voraussetzungen für ein solches gemeinsames Unternehmen deutscher und tschechischer Zeichner und Publizisten waren überaus günstig. Die Satire hatte in der Heimat Schwejks eine gute Tradition und es gab in Prag so hervorragende Vertreter der politischen Karikatur wie Frantisek Bidlo, Antonin Pelc, Adolf Hoffmeister. Josef Capek, Ondrej Sekora und Bedrich Taussig (Fritta), die sich bereits 1933 eindeutig auf die Seite der antifaschistischen Gegenwehr stellten. Auch unter den Emigranten fanden sich namhafte, in diesem Metier versierte Künstler, wie der Pressezeichner Bert, dessen Identität bis heute ungeklärt ist, Ludwig Wronkow, Erich Godal und eben – Johannes Wüsten, der sich Peter Nikl nannte.

Mit dem Simplicus wurde Prag zum Zentrum antifaschistischer Karikatur und Wüsten, der vor 1933 ein bedeutender Erneuerer des Kupferstichs im 20. Jahrhundert war, wurde im Prager Exil zu einem der führenden linken Pressezeichner. Die Prägnanz seiner Kupferstiche, ihre veristische Schärfe der Dingwelt und Aussage lebte verwandelt weiter in den drastischen und grotesken Überhöhungen seiner satirischen Blätter, schrieb der Kunsthistoriker Harald Olbrich. Höhepunkt der Gemeinschaftsleistung tschechischer und deutscher Simpl-Zeichner waren die beiden Sammelwerke Das Dritte Reich in der Karikatur (1934) und Juden, Christen, Heiden im Dritten Reich (1935), die beide im eigenen Simplicus-Verlag mit Vorworten von Heinrich Mann und Alfred Kerr erschienen.

Natürlich könne die Karikatur Hyänen nicht vertreiben, räumte Kerr ein, aber: Auch der Spaß kann feststellen, was ist. Was der Nazi (trotz einer gestumpften, vergessenden, sich gewöhnenden Welt) bleibt.

Das zentrale Thema in Zeitschrift und Karikaturensammlungen hieß Hitlerdeutschland. Immer wieder und auf unterschiedliche Weise kreisten Zeichnungen und Karikaturen, Witze, Gedichte und Erzählungen um die Aktionen, Akteure und Opfer des Dritten Reiches: Reichstagsbrandprozess und Röhm-Erschießungen, Germanenkult und Konzentrationslager. Widerstandskämpfer und bedrängte Juden, devote Kleinbürger und heldenhafte Proletarier, Nazigrößen und opportunistische Künstler, schrieb Lieselotte Maas, deren Handbuch der deutschen Exilpresse als Standardwerk gilt. In den Sammlungen war Wüsten mit insgesamt acht Arbeiten vertreten. Im Simplicus – vom September 1934 an unter dem Titel Simpl – erschienen über fünfzig Beiträge Wüstens. Er wurde damit zum dominierenden Zeichner der Wochenschrift, die im Juli 1935 ihr Erscheinen einstellte.

Als Kupferstecher ein später Nachfahr Dürers, als Satiriker ein eigenwilliger und eigenartiger Nachfolger des George Grosz. Seine Pressezeichnungen, die auch in anderen Exilzeitungen und Zeitschriften zu finden waren, fanden große Beachtung und Anerkennung. Ich fühlte mich anfangs (und das bis etwa zum 40. Lebensjahr – 1936) unbedingt als Maler. Aber ich habe von Kindheit an ebensoviel geschrieben als gemalt, gesteht er in einer undatierten biographischen Abrechnung.

Literarische Arbeiten Wüstens finden sich im Simpl, im Gegenangriff, der AIZ und auch im Wort, Moskau, der Internationalen Literatur, Moskau und in Maß und Wert Zürich.

Eine seiner ersten Erzählungen, die bereits im Januar 1935 im Simpl erschien – Nocturno – schildert die letzten Stunden eines wegen einer Namensgleichheit versehentlich hingerichteten SA-Führers, der beim Glockenschlag der Kirchtürme seiner Stadt an eine Gasse, hier sich erinnert, „Schurkenstiege“ (sprich Verrätergasse) geheißen. Ihre Namensgeber, aufständische Bauern von 1525, werden von Gruppenführer Henke in seiner letzten Stunde sehr zu Unrecht zu „Vorläufern“ der Bewegung erklärt.

Obwohl Wüsten eine große Zahl von literarischen Beiträgen und Pressezeichnungen in der Exilpresse und auch in Prager deutschsprachigen Zeitungen, etwa der bürgerlichen, regierungsamtlichen Prager Presse veröffentlichen konnte, lebte er ständig am Rande des Existenzminimums. Die Schriftstellerin Lenka Reinerová, damals jüngste Mitarbeiterin der Illustrierten Zeitung, erinnert sich: Wenn Johannes Wüsten, alias Peter Nikl in der AIZ erschien, ging er zuerst zu Edith (der Kassadame), war sehr höflich und behutsam, aber wenig erfolgreich. Danach kam er zu Weiskopf und klagte. Hager wie die Figuren auf seinen Kupferstichen, meistens von einem schwarzen Lodenumhang umflattert, mit stillem Feuer in den hellen Augen, tat er dem Chefredakteur sicher leid, denn fast immer schien ihn ein Hauch von Emigrantenelend zu umwehen. Aber was tun? Weiskopf brauchte die Beiträge von Peter Nikl, selbst wenn sie nicht gleich bezahlt werden konnten, und Peter Nikl freute sich ja auch über jeden Auftrag, so dass die beiden, aller Misere zum Trotz, jedes Mal einig wurden.

So wie die exilierten bildenden Künstler und Schriftsteller stellten auch die Theateremigranten Kontakte zu den antifaschistischen Kräften des Asyllandes her. Von größter Bedeutung war hierbei der Tschechoslowakische Arbeiterlaientheaterbund DDOC (Svaz delnickych divadelnych ochotniku ceskoslovenskych) der, 1911 gegründet, seit 1932 ein deutsches Archiv besaß. Er brachte eine Reihe Aufführungen heraus, an denen Emigrantendarsteller beteiligt waren, ermöglichte die Zusammenarbeit von Berufskünstlern mit Laiengruppen, stellte Kulissen zur Verfügung und organisierte den Besuch der Vorstellungen. Bereits seit Ende der 20er Jahre gab es Verbindungen zu deutschen Arbeitertheatern und zum Arbeiter-Theaterbund Deutschlands (ATBD).

Es gilt als sicher, dass Vertreter des DDOC auch an Aufführungen von Wüstens Verrätergasse teilnahmen. Von der Praxis des Bundes, Aufträge an Schriftsteller zu vergeben, machte auch Wüsten Gebrauch. 1935 entstand sein erster Einakter, der Laiengruppen als Spielmaterial zur Verfügung gestellt wurde. Die Szenenfolge aus den Sudeten „Berggeist“ gehörte nach Angaben von Gabriela Veselá zum Repertoire des Karlsbader Naturtheaters. Das dortige Bezirksarchiv konnte zwar keine Angaben zu möglichen Aufführungen machen, half aber durch Übermittlung meiner Anfrage an die Prager Nationalbibliothek 1990, das bis dahin verschollen gegoltene Stück wieder aufzufinden.

Der noch immer unveröffentlichte Einakter thematisiert die tschechisch-deutsche Solidarität gegen die sudetendeutschen Henlein-Faschisten. Wie Historiker feststellten, suchten Henleinleute und unzählige Gestapoagenten nach der faschistischen Machtübernahme emigrierte Hitlergegner als Feinde der CSR zu diffamieren und, soweit sie in den Grenzgebieten lebten, nach Deutschland zu verschleppen. Vor diesem Hintergrund erzählt Wüsten die Geschichte des Arbeiters Otto Lorenz, Schlafbursche bei dem sudetendeutschen Häuslerehepaar Exner, der beabsichtigt eine Tschechin zu heiraten und als ohnedies unliebsamer Kritiker der Henleinbewegung in eine Falle gelockt und von SS-Leuten nach Deutschland verschleppt werden soll. Deutsche und Tschechen, Nazi-Gegner, verhindern gemeinsam diesen Anschlag - eine kleine Mustersendung von der Volksfront – wie der zunächst eher unentschlossene Häusler Exner zum Schluss erklärt.

Mit diesem Stück begann Wüsten einen Zyklus antifaschistischer Einakter, der ähnlich wie Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches, als Aktionsdramatik verstanden werden kann. So wie der Kupferstich zur satirischen, anklägerischen Pressezeichnung mutierte, entwickelte sich das mehraktige Heimatspiel zum operationellen Einakter. Ohne dass der Schriftsteller Wüsten seine ganz besondere Beziehung zu geschichtlichen Stoffen ausblendete, die wie schon in der Verrätergasse auf die aktualisierende, politisch unmissverständliche Anspielung nicht verzichtete. Wüstens Dramatik findet auf zwei Ebenen statt, auf der des Zeitstücks und der des historischen Stückes.

Der zweite im Auftrag des DDOC entstandene Einakter Die Lehre von Mariastern wurde am 20. 6. 1936 im Rahmen einer großen antifaschistischen Manifestation in Grünwald (Mseno) – heute ein Ortsteil von Gablonz (Jablonec) – uraufgeführt. Mehr als 3000 Besucher zählte dieses Fest der freien deutschen Volkskultur, an dem turnerische, musikalische und künstlerische Beiträge sich abwechselten, eingeleitet vom Chefregisseur des Prager Nationaltheaters Karel Dostal, der für den Klub tschechischer und deutscher Bühnenangehöriger sprach. Deutsche und tschechische Künstler und Sportler gestalteten das Programm, das seinen Abschluss fand mit der Aufführung von Wüstens Volksfrontstück. Ein Lehrstück aus der Zeit der Bundschuh-Rebellion. Ort des Geschehens: Kloster Mariastern am Fuß der Sudeten. Das von marodierenden Landknechtshaufen bedrohte Kloster soll auf Geheiss von Abt und Probst durch die Bauern der Umgebung verteidigt werden. Die vom Klerus ausgebeuteten und an das Kloster verschuldeten Bauern weigern sich. Auf Anraten eines Bundschuh-Bauern erklären sie sich schließlich dazu bereit, das Kloster zu schützen, wenn Schuld- und Pfandbriefe, die sie in Klosterabhängigkeit brachten, vernichtet werden. Als Mönche und Bauern miteinander sich verbünden, muss die hohe Klerisei zähneknirschend zusehen, wie die Pfandbriefe in Flammen aufgehen. Mönche und Bauern bereiten sich gemeinsam auf die Verteidigung vor.

In einem Interview, das Wüsten am Tag der Premiere der Roten Fahne gab, verweist er darauf, dass der Bundschuh-Bauer in seinem Einakter, Alexander Bolze, dem Führer der aufständischen Zünfte aus der Verrätergasse nachgebildet sei und fügt hinzu: Die Erinnerung an diese Männer wach zu halten, die ihr Leben für die Befreiung der Unterdrückten einsetzten, gehört zur Pflege des historischen Erbes in unserer schönen Heimat, diesseits und jenseits der Grenze. Durch seine Konfliktstellung, die gut recherchierte aussagekräftige Fabel und die historische Konkretheit assoziierte das Stück starke Parallelen zur Gegenwart und vermittelte eine klare aktuelle politische Botschaft. Trotz einiger Schwächen, die mangelhafte Individualisierung der Figuren betreffend, stellte der Einakter doch einen ernsthaften Versuch dar, den Mitte der dreißiger Jahre durch die Ereignisse in Frankreich und Spanien überaus aktuellen Gedanken der Volksfront zu gestalten.

Im Auftrag des DDOC, Deutsches Archiv (aus dem im Februar 1937 als eigenständige Schwesterorganisation der Volksbühnenbund hervorging) hatte Hans Herbert Burger, deutsch-Prager Schauspieler und Regisseur, am 4. 6. 1906 in Prag geboren, engagiert am Neuen Deutschen Theater Prag, die Inszenierung übernommen.

Er erinnert sich: Wir probten in einem Dorf in der Näher von Gablonz, dessen Bewohner fast ausnahmslos arbeitslos waren. Wir wohnten dort, die professionellen Schauspieler und ich bei Freunden. Wir probten mit der gesamten Dorfbevölkerung die Massenszenen. Die Vorstellung selbst war so arrangiert, das die Darsteller des Volkes geschlossen nach Gablonz marschierten und genau aufs Stichwort zur Schlussszene mit brennenden Fackeln auf die Bühne marschierten. Ich glaube, es spielten damals alle in Prag lebenden Emigrantenschauspieler mit, vor allen Fritta Brod und Paul Demel, Hans Fürth (1939 an der Grenze erschossen), Paul Lewitt und Walter Gussmann. Soweit ich mich erinnere, war die Premiere 1935 – aber das weiß ich nicht mehr genau. Es war im Rahmen einer großen Kulturveranstaltung, bei der auch große tschechische Schauspieler mitwirkten. Ich erinnere mich, dass ich teilweise den Ansager machte, und den großen Karel Dostal dem Publikum vorstellte. Er war von „Maria Stern“ beeindruckt und interessierte sich für eine tschechische Übersetzung, aber ich zweifle daran, dass es dazu kam.

Hanusch Burger, auch durch seine Zusammenarbeit mit dem jungen Stefan Heym bekannt geworden, mit dem gemeinsam er in Prag 1934 Mark Twains Tom Sawyer dramatisierte – in einer tschechischen Version am befreiten Theater (Osvobozené divadlo) von Jiri Voskovec und Jan Werich im Februar 1937 aufgeführt – war ab November 1934, nach außen hin, Vorsitzender des einen Monat zuvor durch einen Erlass der Landesbehörde in Prag gegründeten Bert-Brecht-Klub.

Die eigentlichen Initiatoren und Leiter waren Wieland Herzfelde und Franz Carl Weiskopf. Fraglos der berühmteste jener Klubs, in denen eine langfristige und systematische Zusammenarbeit Deutscher und Tschechen entwickelt wurde. Veranstalter von Dichterlesungen, Diskussionen über neue Werke, auch zu Problemen des tschechischen Kulturlebens, regelmäßige literarische Abende und Vorträge zu aktuellen politischen und kulturpolitischen Ereignissen. Gegenüber den tschechoslowakischen Behörden stellte er sich als unpolitische Vereinigung dar und wurde erste Ende März 1939 – zwei Wochen nach der faschistischen Okkupation – aufgelöst. Unter dem Eindruck der Aufführung der Dreigroschenoper, 1934 in Prag, hatte der Klub seinen Namen erhalten.

Zu seinen Mitgliedern gehörten neben exilierten Schriftstellern auch linksorientierte Vertreter der Prager deutschen Literatur. Gertruda Albrechtova nennt in ihrer verdienstvollen Arbeit über die Tschechoslowakei als Asyl der deutschen antifaschistischen Literatur unter anderen: Theodor Balk (der spätere Ehemann von Lenka Reinerova), Ernst Bloch, Louis Fürnberg, Oskar Maria Graf, Anna Maria Jokl, Egon Erwin Kisch und Alex Wedding (die Ehefrau von Franz Carl Weiskopf). Auch zum Klub zählen: Bruno Frei, Rudolf Fuchs, Ernst Ottwald, Albin Stübs und auch Peter Nikl (Johannes Wüsten), mit dem Wieland Herzfelde hier oft zusammentraf. Der erinnert sich: Wüsten war mir sofort sympathisch. Er war sehr liebenswürdig und freundlich, ein Mensch, den man einen netten Kameraden nennt. Er war schlank. Ich dachte, er komme von der Wasserkante, denn er wirkte nordländisch, weniger österreichisch oder bayrisch. Als Schriftsteller war er vielleicht noch etwas ungelockert, krampfig. Er hätte eine gelockertere Technik gebraucht. Da ich nun weiß, dass er Kupferstiche schuf, nehme ich an, dass dies damit zusammenhängt. Wüsten nahm oft an den Zusammenkünften des Bertolt-Brecht-Klubs teil. Dort haben wir diskutiert. Ab und zu gab es heftige politische Kontroversen zwischen den Klubmitgliedern, zum Beispiel über André Gides Bericht über seine Reise in die Sowjetunion oder über den Roman „Brot und Wein“ von Silone, der mir allzu archaisch-christlich war. Natürlich sprachen wir auch über rein literarische Sachen: Wie kann der Beginn einer bestimmten Fabel, etwa Rückkehr eines Kriegsgefangenen in sein Heimatdorf u. dgl. geschrieben sein? Es war sehr anregend und interessant, wie unterschiedlich etwa ein Dutzend Schriftsteller ihr Antworten formulierten.

Neben den Literatur- und Vortragsabenden trat der Klub mit öffentlichen Veranstaltungen hervor. Dazu gehörte unter anderem auch ein Theaterabend, der zusammen mit dem DDOC organisiert wurde: die Uraufführung des Gegenwartsstückes Bessie Bosch am 4. September 1936 im großen Saal des deutschen Volksbildungsvereins Urania. Zweifellos eine der hervorragendsten Leistungen des deutschen Exil-Theaters in der CSR. Ihr Autor, Johannes Wüsten, stellte hier erstmals den illegalen Kampf in Deutschland auf eine Prager Bühne. Hans Burger hatte erneut die Regie des Zwei-Personen-Stückes übernommen.

Das Haus war, so erinnere ich mich, ausverkauft.Trotzdem weiß ich nicht, ob wir das Stück oft wiederholten, denn die Saalmiete war für uns sehr hoch. Die Hauptrollen waren mit Fritta Brod und Erich Freund besetzt, der sich damals Frank nannte aus irgendwelchen konspirativen Gründen. Er trat damals unter seinem richtigen Namen im Film auf, z.B. erinnere ich mich, dass er einen Höfling in spanischem Kostüm am Hof Rudolf II. in einem „Golem“-Film spielte, als Partner von Harry Baur, der den Rabbi Löw gab. Peter Nikl brachte mir das Stück , und wir hatten lange Unterhaltungen darüber, aber keinerlei Differenzen. Ich war vom Inhalt des Stückes erschüttert. Was Peter Nikl nicht wissen konnte, und was ich ihm damals auch nicht sagen durfte, war, dass ich knapp vor der Premiere als Überbringer illegalen Materials in Berlin gewesen war, und ich mir deshalb die Atmosphäre gut vorstellen konnte.

Der „Sozialdemokrat“ schrieb am 5. September 1936 über die Uraufführung: Der Verfasser war darauf bedacht, das Psychologische mehr als das Politische zu betonen, er wollte mit den Leiden der Frau eines zum Tode Verurteilten erschüttern und mit den Trostreden eines Genossen, der am Morgen der Hinrichtung bei dieser Frau weilt, die seelischen Probleme des illegalen Kämpferdaseins verständlich machen. Dass es ihm gelungen ist, diese Absicht in einem einzigen langen Dialog dramatisch zu formen und zu steigern, darf als Beweis für die Begabung des Verfassers angesehen werden.

Das Stück, drei Monate später im Wort, der in Moskau herausgegebenen literarischen Monatsschrift (Redaktion Brecht, Feuchtwanger und Bredel) erschienen, beeindruckte vor allem dadurch, dass hier der Widerstandskämpfer nicht als unbeugsamer Held, sondern auch in Augenblicken zeitweiliger Schwäche gezeigt wurde. Den historischen Hintergrund des Stückes bildete die Hinrichtung des Kommunisten Rudolf Claus an 17.12. 1935, der als Mitglied der illegalen Reichsleitung der Roten Hilfe Solidaritätsarbeit organisiert hatte. Seine Ermordung erregte die internationale Öffentlichkeit und führte zu einer der eher seltenen, gemeinsamen Protesterklärungen von Kommunisten und Sozialdemokraten, der sich auch Heinrich Mann und mehr als Hundert Hitlergegner unterschiedlichster politischer und weltanschaulicher Provenienz anschlossen.

Durch und durch politisches Theater, hatte die bürgerlich-liberale deutschsprachige Tageszeitung Prager Tagblatt zu Bessie Bosch geschrieben. Oft genug will man widersprechen, oft genug zustimmen, aber ist es nicht ein Lob für einen Theaterabend, wenn er zu lebhafter Stellungnahme reizt, wenn über brennende Probleme des Tages ein gerades (wenn auch nicht endgültiges) Wort gesprochen wird.

Die Aufführung war nach einem anfänglichen Verbot, angeblich aus formalen Gründen, von der Prager Polizeidirektion doch noch bewilligt worden. Einen Monat zuvor erhielt Wüstens Dramatische Studie in einem Akt „Die Grenze“ keine Aufführungsgenehmigung. Das Stück entlarvte mit psychologischer Genauigkeit das nationalsozialistische Ideal der Volksgemeinschaft. Beim überstürzten Bau von Grenzbefestigungsanlagen 1936 an der deutschen Grenze werden vier Männer verschüttet. Der leitende Ingenieur, gleichgeschalteter Stahlhelmer in SA-Uniform, ein pflichttreuer Mitläufer, erweist sich als Repräsentant jener Bedientenhaftigkeit (Engels), die Georg Lukacs den kategorischen Imperativ des Sich-Beugens vor jedem Befehl, jedem Wunsch der Obrigkeit nannte, die Ideologie, dass gerade hierin die Erfüllung der gesellschaftlichen und moralischen, der nationalen und religiösen Pflichten läge (Schicksalswende, 1944).

Der erst Ende der 70er Jahre wiederentdeckte Einakter wurde vom Volksbühnenbund 1937 als Bühnenmanuskript vervielfältigt, veröffentlicht auch in einer 1939 in New York erschienenen Anthologie antifaschistischer Einakter.

Von einem weiteren Stück wissen wir durch einen im Exil-Archiv der deutschen Bibliothek Frankfurt a.M. aufgefundenen Brief an Hubertus Prinz zu Löwenstein, der im April 1935 in den USA die American Guild für German Cultural Freedom, einen Bund zur Unterstützung exilierter Schriftsteller gegründet hatte. Wüsten, der eine erste finanzielle Unterstützung der Guild ohne ein ausführliches Gesuch, nur auf Empfehlung des Wiener Journalisten Arnold Höllriegel (Richard A. Bermann) erhalten hatte, bedankt sich mit einem Informationsbrief. Er verweist hier auf die erfolgreiche Aufführung von Bessie Bosch, nennt Die Grenze, und den noch immer verschollenen Einakter Bruder Bauer, den Wieland Herzfelde im August 1936 an Willi Bredel, Redaktion Das Wort, Moskau, geschickt hatte. Besonders schmerzlich ist auch der Verlust des dreiaktigen Schauspiels Das Herz, von dem Wüsten in einer Autobibliographie spricht: Das Stück zeigt die Konflikte eines jungen Mädchens, das in der Hitlerjugend erzogen wird, während seine Eltern im antifaschistischen Abwehrkampf stehen. Auch dieses Stück ist von Herzfelde im Februar 1937 aus Prag an die Redaktion Das Wort gesandt worden. Julia Scheinina, der russischen Mitarbeiterin der literarischen Monatsschrift, die Bredel während dessen Abwesenheit vertrat, teilt er mit, er habe zwar das Manuskript nicht gelesen, aber Nikl gefällt mir im allgemeinen, vielleicht kommt ein Akt in Frage, etwa bei einer Sondernummer Theater.

Die für Johannes Wüsten so fruchtbare Zeit in seinem Quasi-Vaterland Prag hat sich für ihn besonders in Ernst Bloch und Wieland Herzfelde verkörpert. Die Hilfeleistungen und Anregungen Herzfeldes sollten gipfeln in der Veröffentlichung des Romans Rübezahl, den Wüsten im September 1937 in Prag abgeschlossen hatte, in dessen Malik-Verlag. Die politische Krise im Spätherbst 1938 verhinderte dies. Nur der Vorabdruck eines Kapitels (Die Manufaktur) erschien im Mai 1938 in der Moskauer Internationalen Literatur.

In Prag fand sich ein Kreis bedeutender Männer zusammen. Es herrschte geistige Hochspannung, sie gipfelte in den Vorträgen des Philosophen Ernst Bloch. Damals schrieb ich den Rübezahl, der enthielt viel von Blochs philosophischen Gedanken.

Die Hauptfiguren des am Vorabend der französischen Revolution im schlesischen Riesengebirge angesiedelten Romans, der Kupferstecher Peter Wost und der aufklärerische Schriftsteller Nikolaus von Nördlingen waren seine beiden Ich: Der Romantiker und der Moralist. Wie kann man noch an Götter glauben, wenn man den Menschen gesehen hat, (ver)zweifelt der eine, und der andere ist überzeugt: Nichts ist noch je geworden ohne Träume.

Hoffnung ist enttäuschbar, schrieb Bloch. Hoffnung aber nagelt doch immerhin eine Flagge an den Mast, auch im Untergang, in dem er nicht akzeptiert wird, auch wenn er noch so mächtig ist.

In ihrer Autobiographie Aus meinem Leben erinnert sich Karola Bloch an Wüstens Besuche in Prag. Er kam mit neuen Gedichten oder Erzählungen, las mir vor oder zeichnete mich. Er war ein begabter und sympathischer Mensch. Manchmal begleitete ihn seine Freundin Lotte Schwarz.

Lotte Schwarz, 1902 geboren, stammte aus einer bürgerlichen Prager Familie, assimilierte deutschsprachige Juden. Anfang der 20er Jahre lebte sie in Berlin, kam im legendären Café des Westens mit Eisler, Brecht, den Brüdern Herzfelde zusammen. Unterstützt durch Karl Radek ging sie 1926 in die Sowjetunion. Sie arbeitete als Journalistin, Übersetzerin und 1929 – 1933 als Kulturredakteurin der Moskauer Rundschau, die ihr Stiefvater Otto Pohl, österreichischer Gesandter in Moskau, linker Sozialdemokrat, herausgab. Ihre Theaterkritiken in der Zeitschrift Sowjetskoje Iskustwo, Moskau, fanden starke Beachtung.

Als im August 1936 ihr guter Freund Karl Schmückle, Philosoph , Übersetzer, Journalist, Redakteur – seit 1925 am Marx-Engels-Institut in Moskau tätig – plötzlich spurlos verschwand (er war das erste Opfer der Säuberungen aus den Reihen der deutschen Schriftsteller im sowjetischen Exil) war dies für Lotte Schwarz der erste tiefe Schock. Bis dahin konnte ich mir immer sagen: da muss was dran sein, wenn sie den oder jenen verhaften, schrieb sie an David Pike, Autor eines wichtigen Quellenwerkes über deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil.

Der Terrorismus des Verdachts griff um sich. Ein hoher Funktionär des sowjetischen Außenministeriums ließ mich zu sich kommen und sagte mir: „Ich glaube, Sie möchten in die Partei eintreten. Das können sie nur als ausländische Intellektuelle, wenn Sie erst Mitglied in einer Bruderpartei in einem anderen Land waren. Nehmen Sie Ihr Kind, packen Sie Ihre Koffer und fahren Sie sofort nach Prag. Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre Rückkehr hierher jederzeit ermöglichen werde. Aber fahren Sie sofort.“ Ich habe blindlings gefolgt und erst Monate später verstanden, dass dieser Mann meinem Kind und mir das Leben gerettet hat. Er wusste, dass ich wie viele meiner ausländischen Freunde in der allernächsten Zeit deportiert werden sollte.

1936 kehrte Lotte Schwarz mit ihrer damals sechsjährigen Tochter Anjuta in ihre Geburtsstadt zurück. Sie übersetzte hier für Herzfeldes Malik-Verlag Ilja Ehrenburgs klassischen Aufbau-Roman Ohne Atempause, der 1936 auch in der Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter erschien, und Ehrenburgs Spanienbuch No Pasaran! (Sie kommen nicht durch).

Johannes Wüsten lernte Lotte Schwarz, vermutlich durch F.C. Weiskopf, kennen, verliebte sich und trennte sich 1937 von seiner Frau Dorothea.

Karl Schmückle, 1934/35 stellvertretender Redakteur der deutschen Ausgabe der Internationalen Literatur, Autor zahlreicher Essays im Wort, Publikationen, in denen auch Wüsten veröffentlichte, wurde von einer Kommission des NKWD und der Staatsanwaltschaft der Spionagetätigkeit beschuldigt und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Eine Sonderkommission vollstreckte das Urteil am 14. März 1938. Ein Tag später wurde im Zuge des 3. Moskauer Schauprozesses Nikolai Bucharin erschossen.

Im Wort erschien drei Monate später die Nachdichtung eines Liedes von Walter von der Vogelweide Der Hof zu Wien, eine bittere Klage über den Verfall ritterlichens Lebens unter Leopold IV. Johannes Wüsten übersetzte sein Österreichisches Lied aus dem Mittelhochdeutschen:

Wien sprach zu mir:
Walther, wie lieb war ich dir.

Sieh, wie vor Jammer ich vergehe.

Vielleicht erkannten die Herausgeber des Wort die offensichtliche Analogie zur Stalin-Ära mit ihren politischen Prozessen, den Massendeportationen und Hinrichtungen nicht.

Im Juli 1938 ging Wüsten, zusammen mit Lotte Schwarz und ihrer Tochter nach Paris, offenbar ohne die Genehmigung seiner Prager Parteigruppe, was ihm einigen Ärger einbrachte. Übrigens, schreibt er im August an Herzfelde, der erst im Oktober Prag verließ, haben sowohl Bredel wie Kisch die Sache an sich gar nicht tragisch genommen. Kisch hat mir nötigensfalls eine Rüge zu erteilen versprochen und ist dann einen ganzen Nachmittag mit uns in Versailles umherspaziert.

Über Wüstens Pariser Exil wird Lotte Schwarz vierzig Jahre später in Jean Paul Sartres Zeitschrift Les temps modernes ihre Erzählung Die Tode des Johannes veröffentlichen. Es war kein Warmwerden für ihn in Paris: Das absolut Fremde drängt sich immer wieder in den Vordergrund...

Die ersten Emigrationsjahre in Prag waren von einer süßen Bitterkeit. Ich liebe diese Stadt wie keine zweite auf der Welt. Jetzt erst lernte ich sie wirklich kennen. Ich fuhr in die Täler der Moldau und Sasava, lebte unter tschechischen Bauern, trank ihr köstliches Bier, hörte ihre alten Sagen, feierte ihre bunten Feste. Von den Höhen der Sudeten sah ich Deutschland.

Am 27.1. 1941 wurde Wüsten in Paris von der Gestapo verhaftet. Verurteilt zu 15 Jahren Zuchthaus, starb er am 26. 4. 1943 um Zuchthauslazarett Brandenburg Görden an Tuberkulose.