Ausstellungen
Bücher haben ihr Schicksal. Johannes Wüstens "Rübezahl"-Roman
Vortrag zur Eröffnung des "Johannes-Wüsten-Saals" am 4. Oktober 2002 im Museum Neißstraße
Dr. Wolfgang Wessig
Im Oktober 1991 konnte ich im Exilarchiv der Deutschen Bibliothek Frankfurt /Main Einsicht nehmen in die Akten der American Guild for German Cultural Freedom. Seit Horst Wandreys Nachwort zur Erstveröffentlichung des "Rübezahl" war bekannt, dass Wüsten Kontakt zu dem im April 1935 von Hubertus Prinz zu Löwenstein in den USA gegründeten Bund zur Unterstützung exilierter Schriftsteller hatte.
Die Personalmappe "Johannes Wüsten"- Bestandteil der nahezu vollständig erhaltenen Akten der Guild - enthielt 11 Briefe bzw. Karten von Wüsten an die Guild (mit unterschiedlichen Beilagen), 12 Anschreiben der Guild an Wüsten, sowie Befürwortungen, Gutachten und weitere zugehörige Materialien. Ich habe dieses Konvolut in einem Beitrag für die Zeitschrift "Exil", Frankfurt /Main ( H. 2/1993 ) ausgewertet.
Frühestes Briefdokument in der Personalmappe ist ein Informationsbrief . Wüsten hatte auf Grund einer Empfehlung von Richard A. Bermann (unter dem Namen Arnold Höllriegel bekannter Wiener Journalist und Schriftsteller - Löwensteins "treuester Ratgeber" ) eine erste finanzielle Unterstützung der Guild bekommen und bedankte sich:
"Prag , 25.05.1938
Sehr verehrter Prinz,
es ist nicht allein die materielle Hilfe, die Sie mir in Ihrem freundlichen Brief vom 23. Mai zukommen ließen, es ist vor allem die Promptheit, mit der diese Hilfe gewährt wurde, was mich Ihnen aufs tiefste verpflichtet. Dr. Bermanns Anregung sollte dieser Tage ein ausführliches Gesuch von mir folgen- nun ist dieser Informationsbrief über mich zugleich ein Dankschreiben geworden.
Bevor ich auf Ihre Frage, verehrter Prinz, eingehe, woran ich jetzt arbeite, möchte ich ganz kurz berichten, wer ich bin:
Pastorensohn, 1896 in Heidelberg geboren, in Deutschland vor dem Umsturz als Graphiker bekannt gewesen. Meine Arbeiten, (besonders Kupferstiche) hingen in den Museen von Berlin (Kupferstichkabinett), Dresden, Hamburg, Breslau etc. In Chicago erhielt ich 1934 bei der International Exhibition of Contemporary Prints den 3. Preis, meine Arbeiten wurden auf den offiziellen Reichsausstellungen in Tokio , Südamerika etc. gezeigt und z. T. verkauft, und in den meisten größeren Kunstzeitschriften wiederholt besprochen. über mich als darstellenden Künstler kann u.a. Paul Westheim Auskunft geben. Im 3. Reich wurden meine Bilder aus den Museen entfernt und ich hatte sogar die Ehre, in der ersten Ausstellung "entarteter Kunst" zu figurieren.
Bis 1933 war ich nur im Nebenberuf Schriftsteller, ich arbeitete ständig für den "Görlitzer Anzeiger", schrieb verschiedene Theaterstücke, die in Schlesien aufgeführt wurden, im Konrad-Hanf-Verlag erschienen ein satyrischer Roman "Semper die Mumie" und die Novelle "Yvon". 1934 musste ich als Sozialist emigrieren. Seitdem ist die Schriftstellerei mein Hauptberuf, aber ich habe die Graphik durchaus nicht an den Nagel gehängt, muss mich allerdings vorläufig aufs Zeichnen konzentrieren,da mir fürs Stechen das Werkzeug fehlt.
Literarisch habe ich in den letzten Jahren teils unter dem Pseudonym Peter Nikl , teils unter meinem eigenen Namen publiziert. 1936 wurde in Prag mein (gleichzeitig in der Zeitschrift "Das Wort" erschienener) Einakter "Bessie Bosch" mit gutem Erfolg aufgeführt. 1937 zwei weitere Einakter, "Die Grenze" und "Bauern", die wie verschiedene andere Theaterstücke auf zahlreichen kleinen Provinzbühnen gezeigt wurden. Vorigen Herbst beendete ich einen großen Roman "Rübezahl"...
Der Roman spielt im Jahre 1785 in Schlesien. Es ist ein breites Gemälde der damaligen Zeit, der Hof Friedrich II., Provinzadel, aufkommendes Bürgertum, Freimaurerei, Herrnhuter Brüdergemeine und vor allem Bauern und Weber im Kampf mit dem preußischen Militär- das Ganze unter starker Verwendung folkloristischer Elemente..."
Wüsten bittet um eine Arbeitsbeihilfe und ersucht dringend um Unterstützung beim Erscheinen seines "Rübezahl" - Romans.
Vermutlich wurde der im Herbst 1937 zunächst abgeschlossene Rübezahl-Text noch in Görlitz konzipiert.Mit Sicherheit stellen die von Wüsten so genannten "Historischen Studien über die Lausitz und Schlesien" (1928-1932, Verlag Hoffmann und Reiber ) - er meint seine Beiträge für den "Neuen Görlitzer Anzeiger" und deren Beilage "Die Heimat" - eine wesentliche Vorarbeit dar.
"Kaum brannte der Reichstag", schrieb Wüsten, "und ich hatte die Polizei im Haus.Wegen eines Theaterstückes, es hieß Die Verrätergasse". Die letzte Aufführung in einer Inszenierung der Görlitzer Arbeiterspielgruppe "Rote Bühne" fand ein Tag vor Hitlers Machtübernahme am 30.Januar 1933 in Seidenberg , dem heutigen Zawidow statt. "Ich verschwand im Reich des Berggeistes Rübezahl". - Ein bisschen konkreter: Er fand Unterschlupf in Wolfshau, heute ein Ortsteil von Karpacz, in der "Fluchtburg" des Schriftstellers Gerhart Pohl. Nicht wenige Politiker, Journalisten, Künstler und Wissenschaftler gelangten von hier aus in die Tschechoslowakei. "Hier hat" - so Pohl - "der Maler und Dichter hohen Rangs , vom Steckbrief schon verfolgt, die letzten stillen Wochen in seiner Heimat zugebracht, indem er mit dem Spazierstock Zinnien heimlich in den Garten pflanzte, die der Hausherr liebt. Hier ist sein Roman "Rübezahl" begonnen worden".
Über Wolfshau flieht Wüsten, den Pohl in seinem misslungenen autobiographischen Roman "Fluchtburg" ( 1955 ) den "rührenden Wolkenkucker aus Jakob Böhmes Stadt" nennt, im Mai 1934 nach Prag. Er fand rasch Anschluß an den Kreis der Emigranten."Die ersten Emigrationsjahre in Prag waren von einer süßen Bitterkeit. Ich liebe diese Stadt wie keine zweite auf der Welt....In Prag fand sich ein Kreis bedeutender Männer zusammen .Es herrschte geistige Hochspannung. Sie gipfelte in den Vorträgen des Philosophen Ernst Bloch. Damals schrieb ich den "Rübezahl", er enthält viel von Blochs philosophischen Gedanken", schrieb Wüsten im April 1939 an die Guild. Karola Bloch erinnerte sich gut an ihn und seine Besuche: "Er kam mit neuen Gedichten oder Erzählungen, las mir vor oder zeichnete mich" -zeichnete auch den Philosophen. In Peter Zudeicks Bloch-Biographie von 1985 wird dieses Porträt als "anonyme Zeichnung aus den 50er Jahren" bezeichnet. Die Beziehung Wüstens zu Bloch war vergessen, in der DDR bewußt verschwiegen.
Besonders in Bloch und Wieland Herzfelde hätte sich für ihn die sehr fruchtbare Prager Zeit verkörpert, erinnert Wüsten später. Wieland Herzfelde, Gründer des legendären Malik-Verlages ,war bereits im März 1933 in Prag eingetroffen. Im November 1932 erschien das letzte Malik-Buch in Deutschland: Franz Carl Weiskopfs "Zukunft im Rohbau."Weiskopf war es auch, der als gebürtiger Prager und tschechischer Staatsbürger die Verlagsarbeit Herzfeldes unterstützte , so dass bereits im April 1933 der erste Prager Malik-Titel "Hitler der Eroberer. Entlarvung einer Legende" von Rudolf Olden erscheinen konnte. Herzfelde lernte Wüsten bereits 1934 kennen, hielt ihn zunächst für einen Schriftsteller, wußte nicht, dass er auch Maler und Grafiker war. "Wüsten war mir sofort sympathisch. Er war sehr liebenswürdig und freundlich, ein Mensch, den man einen netten Kameraden nennt. Das merkt man auch am Ton seiner Briefe...Wüsten war schlank. Ich dachte, er komme von der Wasserkante, denn er wirkte nordländisch, weniger österreichisch oder bayrisch. Als Schriftsteller war er vielleicht noch etwas ungelockert, krampfig. Er hätte eine gelockertere Technik gebraucht. Da ich nun weiß, dass er Kupferstiche schuf, nehme ich an , dass dies damit zusammen hing. Wüsten nahm oft an den Zusammenkünften des Bertolt-Brecht-Klubs teil ".
Nach Abschluß der Arbeit am "Rübezahl" übergab Wüsten dem Verlegerfreund Herzfelde das Rohmanuskript. Der war bereit, den Roman im Malik-Verlag herauszubringen.In Heft 5/1938 der von Johannes R. Becher geleiteten Moskauer Zeitschrift "Internationale Literatur" wurde ein längerer Auszug unter dem Titel "Die Manufaktur" veröffentlicht. Die Veröffentlichung im Malik-Verlag aber verhinderte die politische Krise vom Spätherbst 1938. Herzfeldes Verlegertätigkeit in Prag war zu Ende. Wüsten verließ bereits Anfang August 1938 Prag und ging nach Paris. Herzfelde nach London und im Mai 1939 nach New York. Der erste Versuch der Veröffentlichung des "Rübezahl" war gescheitert.
So euphorisch sich Wüsten zu seiner ersten Exilstation Prag geäußert hatte, so deprimierend zeigte sich ihm Paris. Das Heimweh brachte ihn fast um. Lotte Schwarz :" Nichts war diesem deutschen Romantiker fremder als die Franzosen, mit denen er nicht den mindesten Kontakt aufnehmen konnte, weder sprachlich noch geistig." Was blieb, war der enge Kreis der politischen Emigrantengruppen - eine Ghetto - Atmosphäre. Trotz allem suchte Wüsten in diesem Kreis unermüdlich nach Möglichkeiten zur Veröffentlichung seines Romans. Schon am 7. August 1938 schreibt er in einem unveröffentlichten Brief an Herzfelde hoffnungsvoll: Willi Bredel lese gerade den Rübezahl. "Wenn er ihm zusagt, so ist er sicher der geeignete Mann, um bei der KNIGA eine Antwort oder was sonst zu erreichen.Er ist jedenfalls außerordentlich einflussreich, dass merkt man hier auf Schritt und Tritt". Bredel gab mit Brecht und Feuchtwanger gemeinsam die literarische Monatsschrift "Das Wort" in Moskau heraus, für die Wüsten von 1936-1938 schrieb, und hatte enge Kontakte zu "Meshdunarodnaja Kniga - Das internationale Buch" ein Moskauer Verlag, der deutschsprachige Literatur herausgab.
Zu den Bemühungen Wüstens um seinen "Rübezahl", an dem er ständig weiterarbeitete, gehört die vom Schutzverband der Deutschen Schriftsteller (SDS ) veranstaltete Lesung einiger Abschnitte aus dem Roman am 13. Februar 1939. Die Einleitung sprach Max Schroeder, später Cheflektor im Berliner Aufbau - Verlag. Der hob hervor, dass Wüsten zugleich ein grafischer Künstler sei und dass sein handwerkliches, fest zupackendes Können auch seinen schriftstellerischen Arbeiten den Stempel aufdrücke.
Aus Prag nachgereist war ein Schreiben der American Guilde vom 16. August 1938, in dem Wüsten mitgeteilt wurde, seiner Bitte um Werkbeihilfe könne nur dann entsprochen werden, wenn eine persönliche und sachliche Befürwortung durch zwei Mitglieder des Europäischen Senats vorliege.
Wüsten teilt am 22. August 1938 der Guild mit , dass er an Thomas Mann , der dem Senat vorstand, Lion Feuchtwanger, Gustav Regler und Anna Seghers dieserhalb geschrieben habe, die Adresse von Bermann und Oskar Maria Graf ("der mich gut kennt") habe er nicht .Bereits am 14.September 1938 übermittelt er an Dr. Volkmar von Zühlsdorff , London - zweiter Geschäftsführer und enger Vertrauter Löwensteins- Empfehlungen von Feuchtwanger und Regler. Lion Feuchtwanger befürwortet das Gesuch unter Bezugnahme auf Arbeiten Wüstens, die in der von ihm mitherausgegebenen literarischen Monatsschrift "Das Wort" erschienen waren, sowie auf das "vielversprechende Expose" seines Romans "Rübezahl" .Gustav Regler schreibt : "Dies ist die Empfehlung , die ich dem Prüfungskomitee unterbreiten möchte für den Schriftsteller Johannes Wüsten, der zur Zeit in Paris ist und ihre Werkbeihilfe erbittet. Ich kenne Johannes Wüsten aus seinen Novellen und Essays, es liegt außerdem ein großer historischer Roman "Rübezahl" von ihm beim Malik -Verlag ...Es entspricht allem , was die Guild sich als Ziel vorgenommen hat, wenn Sie sich entschließen, in das große Hilfswerk der Guild auch Johannes Wüsten einzubeziehen, dem mit der Beihilfe ein weiterer künstlerischer Arbeitswinter in Paris für die deutsche Kultur und sein Werk möglich gemacht würde."
Der Schriftsteller Gustav Regler (1898 -1963), mit dem Wüsten eng befreundet war - wohl auch deshalb, weil beide einem eher "emotionalen und moralistischen Politikverständnis" anhingen- machte Wüsten offenbar auch die Veranstaltung eines Guild-Preisausschreibens bekannt. Bereits im April 1937 hatte die Guild ihren großen literarischen Wettbewerb für Prosamanuskripte in deutscher Sprache ausgeschrieben. Er stellte dem Sieger nicht nur ein Preisgeld in Höhe von 2500 $ (in Form von Tantiemen ) in Aussicht, sondern auch eine Publikationsgarantie neun bekannter Verlage (darunter u.a. Little, Brown & Co, New York; Querido ,Amsterdam ; Albin Michel , Paris; Albert Bonnier, Stockholm ).
Wüsten unterzeichnete einen Tag vor Einsendeschluss am 30.09. 1938 seine Wettbewerbsbeteiligung: "Mein Manuskript unter dem Titel "Rübezahl" liegt bei. Ich habe das Pseudonym Walter Wyk gewählt." Mit dem in der Personalmappe befindlichen Vordruck, den Wüsten handschriftlich ausgefüllt und unterzeichnet hat, ist zweifelsfrei erwiesen, dass der Autor im Exil nicht nur das Pseudonym Peter Nikl benutzt hat, sondern auch mit Walter Wyk zeichnete.
Insgesamt 171 Exilautoren , von denen 135 die Ausschreibungsbedingungen erfüllten, beteiligten sich. Die Vorbegutachtung übernahm Richard A. Bermann. Mit einer kurzen schriftlichen Stellungnahme leitete er die Manuskripte an die 5 Juroren weiter: Thomas Mann ( Vorsitzender der Jury), Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Alfred Neumann und Rudolf Olden.
Auf Wüstens Anfrage an die Guild, zu welchem Termin die Preisverteilung vorgesehen sei, antwortete ihm Guild-Mitarbeiterin Maria Heinemann am 3. Februar 1939, dies werde bereits im März geschehen. Jene Manuskripte, die nicht in die engere Wahl gelangen, würden aber bereits früher frei gegeben werden. Als Wüsten Anfang Mai noch immer ohne Bescheid ist, glaubt er sich in der engeren Wahl und hofft auf ein positives Ergebnis des Wettbewerbs. Da die Juroren in aller Welt verstreut lebten, erschwerte und verlängerte sich die Auswertung .Es entstanden nicht unerhebliche Kommunikationsprobleme. Am 29. Mai 1939 teilte die Guild Wüsten mit, dass sein Roman nicht ausgezeichnet werde, aber sich unter der kleinen Zahl derer befände, die von den Preisrichtern mit einer besonderen Empfehlung an die Verleger zur Veröffentlichung ausgezeichnet wurden. Wenige Tage später schreibt Bermann dagegen, die Entscheidung sei noch nicht definitiv, das Urteil der Preisrichter noch nicht in den Händen des Direktoriums.Ein Wechselbad der Gefühle für den Autor, der so sehr auf das Erscheinen seines "Rübezahl" gehofft hatte.
Ein paar Briefe gehen noch hin und her. Die Vertreter der Guild erbitten weitere Manuskripte, um den Roman den europäischen Verlegern des Wettbewerbs vorzulegen, denn "in Amerika wird es kaum interessieren", hatte Bermann bereits in seiner Vorbegutachtung bemerkt. Aber diese Versuche mißlingen, so wie das Gesamtprojekt schließlich scheitert. Als nach fast einem Jahr Arnold Benders Manuskript "Es ist später denn ihr wißt"- nicht einstimmig - ausgezeichnet wurde, weigert sich Little, Brown & Co den Text zu drucken, weil es für den amerikanischen Markt ungeeignet sei. Daraufhin zogen die angeschlossenen Verlage ihre Publikationszusagen ebenfalls zurück. Der Rest war ein heftiger Streit der Beteiligten, der dem Ansehen der Guild erheblichen Schaden zufügte.
Für Wüsten war der zweite Anlauf zur Veröffentlichung seines "Rübezahl" gescheitert.
Die letzte Nachricht der Guild, datiert vom 13.Februar 1940, informierte ihn, dass sein "Rübezahl" - Manuskript in den Händen des Stockholmer Verlages Albert Bonnier sich befände, jenes angesehenen Verlages, der den heimatlos gewordenen Bermann-Fischer Verlag im Mai 1938 die Niederlassung in Schweden ermöglicht hatte. Diese Nachricht erreichte Wüsten nicht mehr. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Monate interniert. Als Reaktion auf den am 23.08.1939 geschlossenen Nichtangriffsvertrag Deutschland-Sowjetunion hatte die französische Regierung ganz kurzfristig die Masseninternierung "feindlicher Ausländer zwischen 17 und 48 Jahren" beschlossen.
Sowohl während der Zeit seiner Internierung vom September 1939 bis zu seiner mißlungenen Flucht aus dem Lager St. Nazaire im Juni 1940, als auch während seines illegalen Aufenthaltes im besetzten Paris, bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo, arbeitete er an seinem Rübezahl-Text weiter. "Schreib Wieland, dass ich den "Rübezahl" hier noch einmal durchschleife. Ich sende Dir einige Gedichte dazu, (die über den Isenheimer Altar hast Du vermutlich schon erhalten). Es soll noch viel Lyrik, französische und deutsche in den Roman. Außerdem baue ich die Vorgeschichte des Peter Wost um ", teilt er in einem Brief an Dorothea Wüsten vom 17. Dezember 1939 aus Marolles mit. Und er läßt seine Kameraden im Lager an seiner Arbeit teilhaben.Von Max Schroeder, der im Pariser SDS die einleitenden Worte zur Rübezahl-Lesung gesprochen hatte und von Lex Ende , der eigentlich Breuer hieß, fähiger Journalist, später erster Chefredakteur des "Neuen Deutschland", bald seines Postens enthoben und zur Wismut zwangsversetzt, er starb 1951 - von ihnen bestellte er aus Marolles Grüße an Dorothea Wüsten.
Im Lager Villerbon lernte Wüsten Heinrich Oberländer kennen, der in den 20er Jahren Mitarbeiter der Berliner Piscator - Bühne war. Beide freunden sich an und beschließen nach der mißglückten Flucht nach England im Juni 1940 nicht in die sogenannte "Freie Zone", sondern nach Paris zu gehen. Sie glaubten in einer Millionenstadt leichter in der Illegalität untertauchen zu können. Unter den Habseligkeiten, die Wüsten auf dem Marsch durch das von den Deutschen besetzte Frankreich in einem Sack über der Schulter trug, befand sich auch das Rübezahl-Manuskript. In der letzten Dezemberwoche 1940 findet Oberländer seinen Freund in der kleinen Dachkammer eines Pariser Hotels in einem beklagenswerten physischen und psychischen Zustand vor. Zur völligen körperlichen Erschöpfung hatte sich noch eine Infektionskrankheit gesellt. Wüsten war sich wohl darüber im klaren, dass nur ein Krankenhausaufenthalt ihm würde helfen können. Da französischen Krankenhäusern untersagt war, deutsche Patienten aufzunehmen, kam nur ein deutsches Militärlazarett in Frage. Dessen eingedenk und sich der Folgen bewußt, übergab er Oberländer seine Zeichnungen, seine Stiche ,seine Novelle (vermutlich Tannhäuser d.A.) und seinen "Rübezahl", mit der Bitte, sie zu verstecken. Oberländer vergrub die Sachen später im Keller eines Bauernhauses in der französischen Provinz. Am 27. Januar 1941 wird Wüsten folgerichtig von der Gestapo in einem Pariser Militärlazarett verhaftet.
Vermutlich im Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit schreibt er "Ausführungen zum Rübezahl". Die handschriftlich überlieferten neun kleinformatigen Blätter wurden erstmals 1982 aus dem Nachlass veröffentlicht. Neben bereits früher geplanten Veränderungen, hält er es nun für überaus wichtig, dass "Elisabeth de Launay noch ausgeführt wird. Sie ist neben Käthe die einzige größere Frauengestalt , sie muß noch viel besser aus ihrer Vergangenheit entwickelt werden...In die Umformung Peters zum Realisten greift sie ein, indem sie ihm die Geschichte "Die Wahrheit" gibt. Ob als Übersetzung von ihr oder sonstwie weiß ich noch nicht, jedenfalls macht der Fall Watteau größten Eindruck auf Peter." Johannes Wüstens Malergeschichte "Die Wahrheit" war 1938 im "Wort" erstveröffentlicht worden.
Durch den Volksgerichtshof Berlin wurde Wüsten wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er starb am 26. April 1943 im Zuchthauslazarett Brandenburg- Görden an Tuberkulose.
Erst anderthalb Jahre später erfuhr Heinrich Oberländer vom Tod des Freundes.Im Dezember 1944 veröffentlichte er in der in Paris herausgegebenen Kriegsgefangenen - Zeitung der Bewegung "Freies Deutschland" für den Westen - "Volk und Vaterland"- einen Nachruf auf Wüsten, indem er die gemeinsame Flucht aus dem Arbeitslager , Begegnungen in Paris und die Rettung der Wüstenschen Arbeiten erinnert. Monate später gelangt Dorothea Wüsten im Londoner Exil in den Besitz der Weihnachtsnummer der Zeitung und setzt sich mit Oberländer in Verbindung. Parallel dazu wendet sie sich Ende September 1945 auf der Suche nach den Manuskripten an Wieland Herzfelde in New York. Dem war es gemeinsam mit zehn im USA-Exil lebenden deutschen Autoren Ende 1944 gelungen, den Aurora-Verlag zu gründen. Heinrich Mann, einer der Gründer, erklärte , der Name "Aurora - Die Morgenröte" stehe "für noch unerfüllte Hoffnungen. Er bezeichnet Ziele, um die gekämpft und gelitten wurde, die weiter eine nie beendete Hingabe fordern". Zu den Gründern des Verlages gehörten außerdem: Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Berthold Viertel, Ernst Waldinger und F.C. Weiskopf.
Herzfelde antwortet Dorothea Wüsten am 9. Oktober 1945: "Schon auf Grund der Zeitungsnachrichten über Johannes... hatten wir uns entschlossen, nach dem Rübezahl zu forschen, um ihn herausbringen zu können" - "Ich muß Dir offen sagen, dass ich den Rübezahl am liebsten im Malik gehabt hätte", schrieb Wüsten im Juni 1939 an Herzfelde. Sein Wunsch schien im Aurora-Verlag , einem Malik - Nachfolger nun doch noch in Erfüllung zu gehen.
Zunächst freilich musste das Manuskript gefunden werden.Wüsten hatte im Juli 1939 der Guild mitgeteilt, es habe sechs Durchschläge gegeben, vier seien verschleudert auf Nimmerwiedersehen, resp. aus Prag nicht mehr herausgekommen. Den fünften Durchschlag habe er mit der Anmeldung zum Wettbewerb an die Guild geschickt. Am 29.07.1939 schreibt er Zühlsdorff : "Ich habe heute das letzte Exemplar an ihre Adresse gesandt". Wie aus der Korrespondenz zwischen der Guild und Wüsten zu entnehmen war, ist dieses Manuskript Anfang 1949 an den Stockholmer Verlag Albert Bonnier geschickt worden. Da diese Nachricht Wüsten aber nicht mehr erreichte, wußte zunächst niemand, wo nach dem Manuskript gesucht werden könnte. Herzfeldes Suche in den USA war jedenfalls erfolglos- die Guild gab es schon eine Ewigkeit nicht mehr. Also konzentrierte sich Dorothea Wüstens Suche auf Oberländer. Der meldete sich endlich mit Brief vom 19.November 1945 aus Paris, bestätigte den Eingang ihrer Briefe, äußerte seine Freude darüber, dass Herzfelde den "Rübezahl" herausbringen wolle. Er habe nicht umgehend antworten können weil er krank gewesen sei. "Ich will jetzt auf Anraten meines Arztes auf vier Wochen Urlaub gehen. Ich habe mich entschlossen, in das Dorf zu gehen, wo ich die Sachen von Johannes vergraben hatte und wo sie sich heute noch befinden.Ich werde also in der Lage sein, die Sachen selbst nach Paris bringen zu können...". Den Transport des Manuskriptes von Paris nach London übernahm Gordon Schaffer, ein englischer Journalist, der "sehr verlässlich sei", wie Dorothea Wüsten Herzfelde am 10. April 1946 mitteilte. Am 15.Juli 1946 schickt sie das von ihr abgeschriebene Manuskript an Herzfelde." Das Tippen hatte alle meine freie Zeit in Anspruch genommen, es hat viel länger gedauert, als ich dachte...Jonny (das ist John Heartfield, der Bruder Herzfeldes, d.A. ) hat mich schon gefragt, ob ich auch gut getippt habe, lieber Gott, ich habe mich sehr gut vertippt, aber korrigiert, und es ist hoffentlich gut genug." Herzfelde bestätigte am 11. August 1946 den Eingang des Manuskriptes, muss aber auch gleichzeitig einräumen, dass sich die Verlagsmöglichkeiten in den USA verschlechtert hätten. Er hoffe darauf, dass die Washingtoner Administration die Herausgabe der Bücher als "Aurora-Bücherei" in Österreich und Deutschland bewilligen werde. Der Enemy trading act, verbot geschäftliche Verbindungen mit dem Ausland. Ob sie damit einverstanden wäre, fragt er an. Sie antwortet umgehend: "Fang an so bald wie möglich!"
Es gelang Herzfelde in New York 12 Bücher herauszubringen, darunter so wichtige Titel wie Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reiches", Blochs "Freiheit und Ordnung" und "Der Ausflug der toten Mädchen" von Anna Seghers. 1948 kehrte er nach Deutschland zurück. Die weiteren geplanten Bände- auch der "Rübezahl"( ? ) - sollten ab 1949 in der "Aurora Bücherei des Aufbau-Verlages" erscheinen.
Bereits 1946 hatte Gerhart Pohl im Zusammenhang mit einer von ihm gekürzten und redaktionell bearbeiteten Veröffentlichung des Oberländer-Nachrufes vom Dezember 1944 in der kulturpolitischen Monatsschrift "Aufbau" geschrieben: Wüstens Werk ist - wenigstens teilweise - gerettet worden. Eine Gedächtnisausstellung sowie sein großer Roman "Rübezahl" werden für 1947 vorbereitet." Pohl, in dessen "Fluchtburg" Wüsten zwölf Jahre zuvor an seinem Roman geschrieben hatte, war von 1946 - 1950 literarischer Berater des Aufbau-Verlages und Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift. Sein Chefredakteur, Alexander Abusch, hätte nach dem Manuskript gefragt, teilt Dorothea Wüsten - die Ende September 1946 nach Berlin zurückgekehrt war - Herzfelde mit. Der Aufbau-Verlag hätte sehr großes Interesse daran.
Weder Abusch noch Wüstens Freund aus dem französischen Exil, Max Schroeder, seit seiner Rückkehr aus den USA 1947 Cheflektor des Aufbau - Verlages , gelang es, die Herausgabe entscheidend zu beeinflussen.
Willi Bredels in Schwerin erscheinende Monatszeitschrift "Heute und Morgen" kündigt in Heft 5/1948 das Erscheinen des "Rübezahl" an. Der Almanach des Aufbau-Verlages 1950 zeigt ihn als in Vorbereitung befindlich an. Aber alle Bemühungen um Veröffentlichung durch die Kameraden des Exils - Herzfelde, Schroeder und Bredel, - die alle den Roman kannten, blieben ergebnislos. Damit war auch der dritte Anlauf gescheitert.
Die einzige plausible Erklärung für die Verweigerung ist die absurde Tabuisierung alles Schlesischen. Noch die 1963 endlich erschienene Erstveröffentlichung des "Rübezahl" im Greifenverlag Rudolstadt durfte zunächst nur unter dem nicht von Wüsten stammenden Titel "Der Strom fließt nicht bergauf" erscheinen.
In der "Rheinischen Post" vom 13. Februar 1965 rezensierte Gerhart Pohl, der seit 1950 in der BRD lebte, die Erstausgabe unter dem Titel "Metaphysischer Sozialrevolutionr. Ein Kommunist, Opfer Stalins und Hitlers, schrieb einen Roman um Rübezahl." Tiefer, überzeugender als in der klischeehaften biografischen Skizze Pohls gelang es Lotte Schwarz, der Gefährtin des Prager und Pariser Exils, Persönlichkeit und Weltbild Wüstens nachzuempfinden. Mit ihrem Wüsten-Portrait sei an die vor 100 Jahren in Prag geborene begabte Journalistin, Pädagogin und Übersetzerin erinnert.
"Wie kann man", fragt sie "über diesen Mann sprechen ohne seine tiefe Religiosität zu erwähnen. Eine tiefe Religiosität im weitesten Sinne des Wortes. Weit inniger verwandt mit Büchner und der deutschen Romantik, mit den Bauern der Bauernkriege...als mit Strategen und Taktikern. Marxismus als Denkmethode zum Verständnis der Geschichte. Gefühle und Instinkt um sie zu erleben und wiedergeben zu können.
Wie kann man von Wüsten sprechen ohne ihn als einen der ganz seltenen tiefdeutschen Romantiker dieses Jahrhunderts zu erkennen? Romantiker im Gewand des deutschen Expressionismus in seinen Werken, aber vor allem glühender Romantiker in seinem Leben. Ich habe nie einen bescheideneren Menschen getroffen."