Ausstellungen

Einführung zur Eröffnung der Galerie der Moderne im Kaisertrutz am 16. Januar 2015

von Kai Wenzel, Mitarbeiter des Görlitzer Kunsthistorischen Museums

Mit der Galerie der Moderne, die wir heute Abend eröffnen, wird ein wichtiger Teil unserer Museumssammlungen nach Jahren wieder öffentlich sichtbar. Die ausgestellten Werke führen uns eindrucksvoll vor Augen, welche Bedeutung Görlitz als Ort der Künste seit mehr als einem Jahrhundert besitzt. Wir zeigen in der neuen Galerie der Moderne Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die in der Neißestadt tätig waren oder hier ihre Wurzeln haben. Darüber hinaus sind Referenzwerke überregional bekannter Meister zu sehen, die zu verschiedenen Zeiten für die Kunst in Görlitz und Umgebung von Bedeutung gewesen sind. Die ausgestellten Werke lassen die Netzwerke sichtbar werden, die Görlitz mit anderen Orten verbanden, vor allem mit Dresden und Breslau. Gleichermaßen spiegeln sie natürlich auch stets die jeweilige zeitgeschichtliche Situation, in der sie entstanden. Das gilt insbesondere für ein Werk, das den Auftakt der Galerie bildet: das monumentale Gemälde „Jerusalem“ des bekannten Impressionisten Lesser Ury. Es ist ein Programmbild der zionistischen Bewegung und formulierte erstmals mit künstlerischen Mitteln die Hoffnung auf die Gründung des Staates Israel. Thematische verwandte Werke, die Lesser Ury selbst zu den wichtigsten seines gesamten Schaffens gezählt hatte, wurden von den Nationalsozialisten fast gänzlich vernichtet. Umso bedeutsamer ist es, dass das Bild Jerusalem die Zeiten überdauert hat, und nun wieder öffentlich zu sehen ist. Bereits 1903 war es als Schenkung in den Bestand des Görlitzer Museums gelangt. Während der Jahre des Nationalsozialismus wurde es ins Depot verbannt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs galt es dann, wie zahlreiche weitere Sammlungsstücke, als verschollen, bis es 2002 überraschend im Kunsthandel wieder auftauchte. Nach einem mehrjährigen Rechtsstreit konnte es nach Görlitz zurückgeholt werden und hat nun seinen dauerhaften Platz in der neuen Galerie gefunden.

Der Rundgang durch die Galerie, in der wir nicht nur Werke der Malerei, sondern auch der Bildhauerei, der Druckgrafik und der angewandten Künste zeigen, ist chronologisch angelegt und beginnt um 1900. Mit dem rasanten Wachstum der Stadt zu dieser Zeit, begann sich eine lebendige Kunstszene in Görlitz zu entfalten. Sie wurde getragen vom neuen Bürgertum, das für Aufträge sorgte und Werke sammelte. Unterstützung fand sie auch in Vereinen wie dem Kunstverein für die Lausitz. Mit Ausstellungen überregional bedeutender Künstler, die zumeist im Museum oder der Stadthalle stattfanden, nahm die Neißestadt seit dieser Zeit Anteil an den aktuellen Tendenzen. Für die Malerei in Görlitz war um 1900 die Kunst des späten Impressionismus prägend. Die Dresdener Akademie, an der Maler wie Gotthard Kuehl und Robert Sterl unterrichteten, war ein wichtiger Ausbildungsort für Görlitzer Talente. Gleichzeitig konnte sich auch die neue Richtung des Jugendstils in unserer Stadt etablieren, wofür wichtige Impulse aus Breslau kamen. Der bekannte Architekt Hans Poelzig reformierte die dortige Kunsthochschule und öffnete sie für neue Ideen.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs hielt der Expressionismus binnen kurzer Zeit in Görlitz Einzug und es begann eine der wichtigsten Epochen für die Kunstgeschichte unserer Stadt. Anregungen dafür kamen erneut aus Dresden von der Künstlervereinigung „Die Brücke“ sowie aus Breslau, wo der Maler Otto Mueller wirkte. Der Kunstverein für die Lausitz und der 1920 gegründete Jacob-Böhme-Bund veranstalteten regelmäßig Ausstellungen expressionistischer Werke. Joseph Anton Schneiderfranken war als charismatischer Maler und Schriftsteller unter dem Pseudonym Bô Yin Râ ein wichtiger Ideengeber. Er schrieb 1921, dass „Görlitz in der Reihe der deutschen Städte, in denen neuere künstlerische Bestrebungen am Werke sind, durchaus nicht die letzte Stelle einzunehmen gesonnen ist.“

Als eine Fortentwicklung des Expressionismus etablierte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre die Neue Sachlichkeit. Sie griff die Malweise und Kompositionsprinzipien altdeutscher Meister auf und verband sie mit zeitgenössischen Themen. Für Künstler in Görlitz und Umgebung waren wiederum Dresden und Breslau wichtige Bezugspunkte, wo Maler wie Otto Dix und Alexander Kanoldt arbeiteten. Von beiden Städten beeinflusst, schuf der Görlitzer Arno Henschel bedeutende Werke im Stil der Neuen Sachlichkeit. Zur gleichen Zeit fanden auch die angewandten Künste zu neuartigen, auf Funktionalität ausgerichteten Gestaltungslösungen. Die Entwürfe Wilhelm Wagenfelds für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weißwasser oder die Arbeiten des in Penzig (Pieńsk) ansässigen Glaskünstlers Richard Süßmuth sind dafür charakteristische Beispiele.

Einen zentralen Platz in der Görlitzer Kunstgeschichte nimmt zweifellos Johannes Wüsten ein. Künstlerische Erfahrungen sammelte er zunächst in Hamburg, wo er nach dem Ersten Weltkrieg zu den Protagonisten des hanseatischen Expressionismus gehörte. Nach seiner Rückkehr an die Neiße war er ab 1923 als Maler, Grafiker, Schriftsteller und Kunstvermittler tätig. Wüsten erschloss sich die Bildsprache der Neuen Sachlichkeit, gründete eine Fayencemanufaktur und eine Malschule, organisierte zahlreiche Ausstellungen und ein reges Kunstvereinsleben. Unterstützt wurde er dabei von seiner späteren Frau, der Malerin Dorothea Koeppen, sowie von seinem Bruder Theodor Wüsten.

Als Johannes Wüsten 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen musste, ging eine entscheidende Epoche der Görlitzer Kunstgeschichte abrupt zu Ende. Zu den bleibenden Leistungen Wüstens gehört die Renaissance des Kupferstichs – ein Thema, dem ein eigener Raum in der Galerie gewidmet ist. Seit dem 19. Jahrhundert war der Kupferstich fast völlig in Vergessenheit geraten. Johannes Wüsten eignete sich die Technik, die man zu dieser Zeit auf keiner Kunsthochschule mehr erlernen konnte, durch Ausprobieren selbst an. Schnell gelangte er dabei zu überzeugenden Ergebnissen, die weit über Görlitz hinaus Beachtung fanden. Kurt Tucholsky schrieb 1932 über ihn: „Der Mann verdiente bekannter zu sein, als er ist – in dem steckt was.“ Die Technik des Kupferstichs gab Wüsten an junge Künstlerinnen und Künstler wie Lotte Wegeleben und Josef Bankay weiter – eine Traditionslinie, die bis in unsere Gegenwart reicht. Die vielfältige Kunstszene, die sich in Görlitz in den Jahren der Weimarer Republik entfaltet hatte, erlebte ihren Niedergang während des Nationalsozialismus. Wie überall im Deutschen Reich wurden auch in der Neißestadt die Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten stark reglementiert. Im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ wurden im Görlitzer Museum Werke beschlagnahmt und zerstört, unter anderem von Johannes Wüsten. Wer nicht den Weg ins Exil wählen wollte oder konnte, versuchte sich dem Zugriff der neuen Machthaber durch eine innere Emigration zu entziehen. Es gab in Görlitz und Umgebung aber auch Künstler, die mit der nationalsozialistischen Ideologie offen sympathisierten, was wir in der Galerie nicht ausblenden, sondern zur Diskussion stellen möchten.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte die Kunst in Görlitz und Umgebung noch einmal eine Zeit der Blüte. Aus Schlesien kamen Künstlerinnen und Künstler als Flüchtlinge in die Stadt und versuchten hier einen Neuanfang. Die Lage am östlichen Rand der DDR eröffnete in den 1950er Jahren die Möglichkeit, Positionen zu vertreten, die in den Zentren des Landes von der Kulturpolitik durch die sogenannte Formalismus-Debatte sanktioniert wurden. So gab es in Görlitz ein bemerkenswertes Wiederaufleben des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Langfristig wirkte sich die Randlage der Stadt auf die Kunstszene aber eher nachteilig aus. Die traditionsreichen Verbindungen nach Breslau und Schlesien waren gekappt. Nur langsam wuchsen neue Kontakte zu polnischen Künstlern. Spätestens seit den 1960er Jahren begann die Bedeutung von Görlitz als Ort der bildenden Künste daher wieder zu schwinden. Junge Künstler, die zumeist in Dresden ausgebildet wurden, kehrten immer seltener in die östliche Oberlausitz zurück.

An der Kunst der Gegenwart hat Görlitz, anders als in früheren Jahrzehnten, eher einen rezipierenden als einen produzierenden Anteil. Nur wenige Künstler können dauerhaft in der Stadt arbeiten, da Galerien und ein lokales Sammlerpublikum weitgehend fehlen und der globale Kunstmarkt kleinere Städte kaum beachtet. Dafür sind heute weltweit zahlreiche namhafte Künstlerinnen und Künstler tätig, deren Wurzeln in Görlitz und Umgebung liegen. Hier haben sie ihre ersten Prägungen erfahren. Die Werke der Fortgegangenen knüpfen nicht selten mit neuen Perspektiven an die Traditionen der Neißestadt an. Gleichzeitig bekommen die historischen Verbindungen nach Breslau in der Gegenwart ein neues Gewicht. Aus ihnen erwächst für Görlitz die Chance und Aufgabe, der Ort zu sein, an dem Positionen der zeitgenössischen Kunst aus Deutschland und Polen aufeinandertreffen und in einen Dialog treten können. Als ein Beispiel zeigen wir in der Galerie ein Gemälde des jungen Breslauer Malers Lukasz Huculak, das von der Mystik Jacob Böhmes angeregt ist.

Die Galerie der Moderne, so wie Sie sie heute Abend erstmals sehen können, soll in Bewegung bleiben. Das heißt, wir werden immer wieder Werke austauschen, um Neues zu zeigen – seien es Neuerwerbungen oder Stücke aus unseren reichen Depotbeständen, die es gleichermaßen verdienen, öffentlich präsentiert zu werden. Eine Stelle in der Galerie ist für einen ständigen Wechsel eigens konzipiert worden: auf einer Wandfläche im Eingangsbereich zeigt der Kunstfonds der Staatliche Kunstsammlungen Dresden regelmäßig wechselnd jeweils ein Werk der zeitgenössischen Kunst aus Sachsen. Als Auftakt ist ein Gemälde des Leipziger Maler Julius Hofmann zu sehen, der vor wenigen Jahren bei Neo Rauch studiert hat. Auf diese Weise können Sie an den Neuerwerbungen zeitgenössischer Kunst, die der Freistaat jedes Jahr tätigt, hier in Görlitz Teil haben. Bleiben Sie also neugierig und kommen Sie regelmäßig wieder in die Galerie.

Zum Schluss möchte ich noch wichtigen Partnern danken, die uns bei der Realisierung der Galerie der Moderne unterstützt haben. Der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen danken wir für ihre finanzielle Unterstützung bei der Herstellung der Ausstellungsarchitektur. Thomas Doetsch, der schon seit mehreren Jahren an der Neugestaltung unserer Ausstellungen als Architekt mitwirkt, hat in bewährter Weise die Planungen zur neuen Ausstellungsarchitektur ausgeführt – dafür ganz herzlichen Dank. Danken möchten wir auch dem Kunstfonds der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie mehreren privaten Leihgebern, die Werke für die Galerie zur Verfügung gestellt haben. Mein ganz persönlicher Dank gilt schließlich auch den Kolleginnen und Kollegen, die am Aufbau der Galerie mitgewirkt haben: Sandra Faßbender, Dörthe Ritter und Dimitar Stoykow für technische und gestalterische Arbeiten, Christina Hübner für Textlektorat, Kerstin Gosewisch für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Sandra Dannemann für die Organisation der heutigen Vernissage.